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Buchrezension: Petra Gerster, Reifeprüfung – Die Frau von 50 Jahren

von Barbara Hofmann-Huber am 2. April 2007

Die Frauen einer unsere Gesellschaft sehr bestimmenden Generation leben im Übergang in eine neue Lebensphase. Es ist die Babyboomer-Generation, der in den 50er Jahren Geborenen. Es sind die Frauen, die angetreten sind, all ihre Fähigkeiten zu entfalten: berufliche und familiäre. Dieser Prozess prägt unser gegenwärtiges Leben mehr, als bisher in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen ist.

Ein Übergang ist eine Zeit des Bilanzierens, des Reifens und sich neu Orientierens und Ausrichtens. Die erfolgreiche Journalistin, Fernsehmoderatorin und zweifache Mutter Petra Gerster hat sich dies um Thema gemacht. Sie hat ein gelungenes, vielschichtiges Buch geschrieben. Es wirkt autobiographisch und ist doch weit mehr. Im Lichte der individuellen Schicksale von ihr und anderen Frauen im Alter um die 50 spiegelt sich eine Generation und werden die Veränderungsprozesse sichtbar, die diese vielen einzelnen unterschiedlichen, individuellen Frauen bisher bereits bewirkten. Jetzt leben diese Frauen in ein Alter hinein, das bei Männern „die besten Jahre“ genannt wird. Für Frauen wird diese Lebenszeit nun neu zu definieren sein – und diese Generation Frauen hat schon vieles neu definiert.

Das Buch „Die Reifeprüfung“ ist eine Standortbestimmung, ein Blick darauf, wo Frauen als 50-Jährige stehen. Wie geht es ihnen körperlich? Mit welchen Anforderungen sind sie im privaten Umfeld konfrontiert? Welche gesellschaftlichen Erwartungen richten sich an diese Altersgruppe? Auffallend ist, dass gemeinhin vor allem wahr genommen wird, was Frauen in diesem Alter verloren geht. Doch gerade diese gut ausgebildete Generation ist dabei, einen weiteren Schritt zu gehen und das Bild der „alternden Frau“ in der Öffentlichkeit zu verändern.

In einer leichten, lebendigen Sprache macht uns die Autorin bewusst: dies ist die Generation der Frauen, die die Frauenbewegung einst getragen hat. Es ist die erste Generation von Frauen, die durch die Pille – die vor kurzem auch erst 50 geworden ist – eine Entscheidungsmöglichkeit bekommen hat. Die Wahl für ein Kind oder auch dagegen hat neue Lebensoptionen für Frauen geöffnet. Die Möglichkeiten, wie ein Frauenleben aussehen kann, wurden grundlegend erweitert, und bis dahin nie gekannte individuelle Freiräume sind möglich. Es ist dem Buch anzumerken, wie sehr „das Private ist politisch“ in gelebtes Leben umgesetzt wurde, vielseitig und doch getragen von der freien Wahl, so sein zu dürfen, wie es individuell gewollt ist – als Frau. Die 50-Jährigen sind eine Generation von Pionierinnen und ersten Siedlerinnen in der öffentlichen und der beruflichen Welt – nicht mehr als einzelne, wie die Generation davor, sondern viele. Was für die heute 20- und 30-Jährigen in der beruflichen Akzeptanz und bei Karrierechancen Selbstverständlichkeiten sind, das hat diese Generation erfochten und dabei mit vielen persönlichen Optionen experimentiert, die Vereinbarkeit von Erfolg in der öffentlichen Welt und der Verantwortlichkeit im Familienkontext zu tragen. War noch für viele der heute 60-Jährigen Beruf oder Familie die Alternative, so traten diese Frauen an, beides zu verbinden – mit dem Preis von Überforderungen und Erfolgen.

Ganz entscheidend ist: die Deutungshoheit darüber, was eine Frau ist, haben diese Frauen erstmals selbst übernommen! Das Bild der Frau löste sich auf in ein Kaleidoskop von vielen individuellen Persönlichkeiten, die das Leben ausprobierten und Grenzen testeten und überschritten. Petra Gerster gelingt es, fühlbar werden zu lassen, wie komplex diese Anforderungen waren und sind. Es gibt keine Vorbilder dafür, wie es gelingen kann, die Verbindungen zwischen vordem als unvereinbar widersprüchlich angesehenen Welten zu schaffen. Es geht um das Aushalten von Spannungen, von Dilemmata, darum, sich selbst mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen an das Leben ernst zu nehmen, ohne bei der „Nabelschau“ verhaftet zu bleiben. Dies alles wird in einer anspruchsvollen und doch alltäglich anmutenden Sprache geschildert.

Das Buch zieht Bilanz über die zurückliegenden Jahrzehnte – ein halbes Jahrhundert überblickt diese Generation. Die Erfahrungen werden gesichtet und wertgeschätzt. Darüber hinaus macht das Buch Mut, weiter zu gehen. Einen Mut, den jede Frau für sich finden muss und für den sie zugleich die Unterstützung der anderen Frauen, die ebenfalls Suchende sind, braucht. Das Buch trägt einen wesentlichen Teil zu dem bei, was sich früher hinter „Frauen gemeinsam sind stark!“ verbarg.

Und nun schickt sich diese Generation an, ihr Know-how, das vielfach noch in der persönlichen Vereinbarkeit von Erfüllung in Beruf und Familie gebunden ist, in die Welt zu bringen. Wie wird diese Generation mit Verantwortung für das Gemeinwohl und mit Macht umgehen? Denn das ist bisher das Thema der 50-jährigen Männer gewesen: Führung auf höchster Ebene, Repräsentanz in der Öffentlichkeit.

Es ist die Generation, die bisher sehr viel bewegt hat und auf die wir gespannt sein dürfen. Eine gleichaltrige Frau hat es vorgemacht: Angela Merkel, Jahrgang 1954, ist mit 51 Jahren die erste deutsche Bundeskanzlerin geworden. Wird das die Generationen sein, die unsere Gesellschaft entscheidend prägen wird – nicht nur als die ersten „jungen Alten“, sondern als selbstbewusste Frauen, die die nächsten Stufen der gesellschaftlichen Macht ersteigen? Es ist damit zu rechnen, dass sie diese Macht verantwortungsvoll nutzten werden.

Rohwohlt Verlag Berlin 2007
ISBN 978-3-87134-533-3

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